Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

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Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung


Gründung

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich „die fünf Wirtschaftsweisen“ genannt, ist ein Gremium, dass im Jahr 1963 eingesetzt wurde. Es befasst sich wissenschaftlich mit der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung Deutschlands. Es wurde eingerichtet zur periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit. Er ist in seinem Beratungsauftrag unabhängig. Zu diesem Zweck wird jährlich ein Gutachten erstellt, dass der Bundesregierung bis zum 15. November zugeleitet wird. Spätestens acht Wochen nach Vorlage des Gutachtens nimmt die Bundesregierung Stellung. Der Rat hat fünf Mitglieder, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils für die Dauer von fünf Jahren berufen werden. Eine (in der Regel einmalige) Wiederberufung ist möglich. Jeweils zum 1.März, dem Ende des Ratsjahres, scheidet ein Mitglied aus. Traditionsgemäß haben bei einem der Mitglieder der Gemeinschaftsausschuss der deutschen Wirtschaft, bei einem anderen Mitglied die Gewerkschaften ein besonderes Mitspracherecht.

Ziele und Aufgaben

Der Rat hat die gesamtwirtschaftliche Lage und deren absehbare Entwicklung zu analysieren, er hat zu untersuchen, wie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum gewährleistet werden können. Dem gesetzlichen Auftrag zufolge verfasst und veröffentlicht der Rat jedes Jahr ein Jahresgutachten (Mitte November) und überdies, in besonderen Problemlagen oder nach Auftrag durch die Bundesregierung, Sondergutachten. Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Mitgliedern, die für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung berufen werden. Demnach besteht der Sachverständigenrat aus fünf Mitgliedern, welche über besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und Erfahrungen verfügen müssen, jedoch nicht in einem Dienstverhältnis zu Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisationen wie auch zu öffentlichen Körperschaften mit Ausnahme von Hochschulen und wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituten stehen dürfen. Die Mitglieder des Rates werden durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung für eine Amtszeit von fünf Jahren berufen, eine einmalige Wiederberufung ist hierbei zulässig. Bei der Besetzung hat sich etabliert, dass das Vorschlagsrecht für jeweils ein Mitglied des Rates an die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen delegiert wird. Dem Sachverständigenrat kommt die Aufgabe zu, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung periodisch zu begutachten und somit zur „Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit beizutragen“. Hierbei bilden die jeweils zum 15.11. vorgelegten Jahresgutachten die zentrale Leistung des Rates. Darüber hinaus kann der Rat unterjährig Sondergutachten herausgeben, sofern er dieses auf Basis seines Auftrages für nötig hält. Schließlich kann er auch von der Bundesregierung zur Abfassung von Sondergutachten beauftragt werden, was allerdings im inzwischen 41-jährigen Bestehen des Rates erst einmal vorgekommen ist. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Regelung, dass der Rat seine Gutachten selbst herausgibt. Die Gliederung der Jahresgutachten ist dem Rat durch das Gesetz weitgehend vorgegeben: Dieser solle die jeweilige gesamtwirtschaftliche Lage und deren absehbare Entwicklung darstellen, und darauf aufbauend untersuchen, wie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung folgende Ziele simultan erreicht werden können.


Gesetz über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Die Aufgaben des Sachverständigenrates und die Berufung der Mitglieder sind in einem eigenen Gesetz geregelt. Vom 14. August 1963 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 700-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt gändert durch Artikel 92 der Verordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2304) Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

§ 1

(1) Zur periodischen Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit wird ein Rat von unabhängigen Sachverständigen gebildet. (2) Der Sachverständigenrat besteht aus fünf Mitgliedern, die über besondere wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse und volkswirtschaftliche Erfahrungen verfügen müssen. (3) Die Mitglieder des Sachverständigenrates dürfen weder der Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes noch dem öffentlichen Dienst des Bundes, eines Landes oder einer sonstigen juristischen Person des öffentlichen Rechts, es sei denn als Hochschullehrer oder als Mitarbeiter eines wirtschafts- oder sozialwissenschaftlichen Institutes, angehören. Sie dürfen ferner nicht Repräsentant eines Wirtschaftsverbandes oder einer Organisation der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer sein oder zu diesen in einem ständigen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis stehen. Sie dürfen auch nicht während des letzten Jahres vor der Berufung zum Mitglied des Sachverständigenrates eine derartige Stellung innegehabt haben.

§ 2

Der Sachverständigenrat soll in seinen Gutachten die jeweilige gesamtwirtschatliche Lage und deren absehbare Entwicklung darstellen. Dabei soll er untersuchen, wie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum gewährleistet werden können. In die Untersuchung sollen auch die Bildung und die Verteilung von Einkommen und Vermögen einbezogen werden. Insbesondere soll der Sachverständigenrat die Ursachen von aktuellen und möglichen Spannungen zwischen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und dem gesamtwirtschaftlichen Angebot aufzeigen, welche die in Satz 2 genannten Ziele gefährden. Bei der Untersuchung sollen jeweils verschiedene Annahmen zugrunde gelegt und deren unterschiedliche Wirkungen dargestellt und beurteilt werden. Der Sachverständigenrat soll Fehlentwicklungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder deren Beseitigung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen.

§ 3

(1) Der Sachverständigenrat ist nur an den durch dieses Gesetz begründeten Auftrag gebunden und in seiner Tätigkeit unabhängig. (2) Vertritt eine Minderheit bei der Abfassung der Gutachten zu einzelnen Fragen eine abweichende Auffassung, so hat sie die Möglichkeit, diese in den Gutachten zum Ausdruck zu bringen.

§ 4

Der Sachverständigenrat kann vor Abfassung seiner Gutachten ihm geeignet erscheinenden Personen, insbesondere Vertretern von Organisationen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, Gelegenheit geben, zu wesentlichen sich aus seinem Auftrag ergebenden Fragen Stellung zu nehmen.

§ 5

(1) Der Sachverständigenrat kann, soweit er es zur Durchführung seines Auftrages für erforderlich hält, die fachlich zuständigen Bundesminister und den Präsidenten der Deutschen Bundesbank hören. (2) Die fachlich zuständigen Bundesminister und der Präsident der Deutschen Bundesbank sind auf ihr Verlangen zu hören. (3) Die Behörden des Bundes und der Länder leisten dem Sachverständigenrat Amtshilfe.

§ 6

(1) Der Sachverständigenrat erstattet jährlich ein Gutachten (Jahresgutachten) und leitet es der Bundesregierung bis zum 15. November zu. Das Jahresgutachten wird den gesetzgebenden Körperschaften von der Bundesregierung unverzüglich vorgelegt und zum gleichen Zeitpunkt vom Sachverständigenrat veröffentlicht. Spätestens acht Wochen nach der Vorlage nimmt die Bundesregierung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften zu dem Jahresgutachten Stellung. In der Stellungnahme sind insbesondere die wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung aus dem Gutachten zieht, darzulegen. (2) Der Sachverständigenrat hat ein zusätzliches Gutachten zu erstatten, wenn auf einzelnen Gebieten Entwicklungen erkennbar werden, welche die in § 2 Satz 2 genannten Ziele gefährden. Die Bundesregierung kann den Sachverständigenrat mit der Erstattung weiterer Gutachten beauftragen. Der Sachverständigenrat leitet Gutachten nach Satz 1 und 2 der Bundesregierung zu und veröffentlicht sie; hinsichtlich des Zeitpunktes der Veröffentlichung führt er das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft herbei.

§ 7

(1) Die Mitglieder des Sachverständigenrates werden auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten berufen. Zum 1. März eines jeden Jahres - erstmals nach Ablauf des dritten Jahres nach Erstattung des ersten Gutachtens gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 - scheidet ein Mitglied aus. Die Reihenfolge des Ausscheidens wird in der ersten Sitzung des Sachverständigenrates durch das Los bestimmt. (2) Der Bundespräsident beruft auf Vorschlag der Bundesregierung jeweils ein neues Mitglied für die Dauer von fünf Jahren. Wiederberufungen sind zulässig. Die Bundesregierung hört die Mitglieder des Sachverständigenrates an, bevor sie ein neues Mitglied vorschlägt. (3) Die Mitglieder sind berechtigt, ihr Amt durch Erklärung gegenüber dem Bundespräsidenten niederzulegen. (4) Scheidet ein Mitglied vorzeitig aus, so wird ein neues Mitglied für die Dauer der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds berufen; Absatz 2 gilt entsprechend.

§ 8

(1) Die Beschlüsse des Sachverständigenrates bedürfen der Zustimmung von mindestens drei Mitgliedern. (2) Der Sachverständigenrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden für die Dauer von drei Jahren. (3) Der Sachverständigenrat gibt sich eine Geschäftsordnung.

§ 9

Das Statistische Bundesamt nimmt die Aufgaben einer Geschäftsstelle des Sachverständigenrates wahr. Die Tätigkeit der Geschäftsstelle besteht in der Vermittlung und Zusammenstellung von Quellenmaterial, der technischen Vorbereitung der Sitzungen des Sachverständigenrates, dem Druck und der Veröffentlichung der Gutachten sowie der Erledigung der sonst anfallenden Verwaltungsaufgaben.

§ 10

Die Mitglieder des Sachverständigenrates und die Angehörigen der Geschäftsstelle sind zur Verschwiegenheit über die Beratungen und die vom Sachverständigenrat als vertraulich bezeichneten Beratungsunterlagen verpflichtet. Die Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich auch auf Informationen, die dem Sachverständigenrat gegeben und als vertraulich bezeichnet werden.

§ 11

(1) Die Mitglieder des Sachverständigenrates erhalten eine pauschale Entschädigung sowie Ersatz ihrer Reisekosten. Diese werden vom Bundesminister für Wirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern festgesetzt. (2) Die Kosten des Sachverständigenrates trägt der Bund.

§ 12

Dieses Gesetz gilt nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 (Bundesgesetzbl. I S. 1) auch im Land Berlin.

§ 13

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündigung in Kraft.


Mitglieder des Sachverständigenrats

aktuelle Mitglieder

  • Professor Dr. Peter Bofinger
  • Professor Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Franz
  • Professor Dr. Dr. h.c. Bert Rürup (Vorsitzender)
  • Professorin Dr. Beatrice Weder di Mauro
  • Professor Dr. Wolfgang Wiegard

Wissenschaftlicher Stab

  • Generalsekretär Dr. Ulrich Klüh

Wissenschaftliche Mitarbeiter

  • Dipl. Volkswirtin, Wirtschaftssinologin Ulrike Bechmann
  • Alexander Herzog-Stein, Ph.D.
  • Dr. Wolfgang Kornprobst
  • Dipl. Volkswirt, Dipl. Physiker Bernhard Pachl
  • Dipl.-Volkswirtin Anna Rosinus
  • Dr. Peter Schwarz
  • Dr. Christoph Roman Swonke
  • Dr. Michael Tröger


ehemalige Mitglieder

(in chronologischer Reihenfolge)

  • Wilhelm Bauer (Januar 1964 – Juli 1974; Vorsitzender März 1964 – Februar 1970)
  • Paul Binder (Januar 1964 – Februar 1968)
  • Herbert Giersch (Januar 1964 - Februar 1970)
  • Harald Koch (Januar 1964 – Mai 1969)
  • Fritz W. Meyer (Januar 1964 – Februar 1966)
  • Wolfgang Stützel (Februar 1966 - September 1968)
  • Manfred Schäfer (März 1968 - Juli 1970)
  • Norbert Kloten (Juni 1969 - April 1976; Vorsitzender März 1970 - Februar 1976)
  • Claus Köhler (Dezember 1969 - Februar 1974)
  • Olaf Sievert (Mai 1970 - Februar 1985; Vorsitzender März 1976 - Februar 1985)
  • Armin Gutowski (Dezember 1970 - Februar 1978)
  • Gerhard Scherhorn (Mai 1974 - Februar 1979)
  • Kurt Schmidt (August 1974 - Mai 1984)
  • Gerd Fels (Juni 1976 - Februar 1982)
  • Horst Albach (Mai 1978 - Februar 1983)
  • Werner Glastetter (August 1979 - August 1981)
  • Hans-Jürgen Krupp (März 1982 - Februar 1984)
  • Hans Karl Schneider (Juli 1982 - Februar 1992; Vorsitzender März 1985 - Februar 1992)
  • Ernst Helmstädter (März 1983 - Februar 1988)
  • Dieter Mertens (März 1984 - Februar 1986)
  • Dieter Pohmer (Juli 1984 - Februar 1991)
  • Helmut Hesse (März 1985 - November 1988)
  • Rüdiger Pohl (Juli 1986 - Februar 1994)
  • Ottmar Issing (April 1988 - September 1990)
  • Herbert Hax (März 1989 - Februar 2000; Vorsitzender März 1992 - Februar 2000)
  • Horst Siebert (Januar 1991 - Februar 2003)
  • Rolf Peffekoven (April 1991 - Februar 2001)
  • Juergen B. Donges (April 1992 - Februar 2002; Vorsitzender März 2000 - Februar 2002)
  • Jürgen Komphardt (März 1999 - Februar 2004)
  • Axel A. Weber (März 2002 - April 2004)

Axel A. Weber ist mit seiner Ernennung zum Präsidenten der Bundesbank aus dem Rat ausgeschieden, da die Mitglieder des Rates keiner (gesetzgebenden) Körperschaft des Bundes oder dem Öffentlichen Dienst (Ausnahme: Hochschullehrer, Forschungsinstitut) angehören dürfen.

"Gegengutachten" der Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik

Seit 1977 wird von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik jährlich in der Woche vor dem 1. Mai ein Memorandum für eine alternative Wirtschaftspolitik veröffentlicht. Es gilt vielfach als "Gegengutachten" zum jährlichen Gutachten des Sachverständigenrats.

Problematik

Die Prognosen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind im Nachhinein betrachtet selten richtig. Allerdings sind ökonomische Vorhersagen auch sehr schwierig, da sehr viele Einflussfaktoren auf die Wirtschaft einwirken. Die politischen Entscheidungsträger und Lobbyorganisationen ignorieren zunehmend die Ratschläge der Wirtschaftsprofessoren und versuchen durch eine gezielte Berufungspolitik ihnen genehme Gutachten zu fördern.

Literatur

  • Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Vierzig Jahre Sachverständigenrat 2003, Wiesbaden
  • Ansgar Strätling, Handbuch Politikberatung, Verlag für Sozialwissenschaften, 2006

Internetquellen