Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

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Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) sind ein Teilgebiet der Makroökonomie innerhalb der Volkswirtschaftslehre und stellen ein statistisches Werk mehrerer Teilrechnungen dar. Den zentralen Schwerpunkt bildet dabei die Entstehung, Verteilung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts. Grundlage der VGR ist die Kreislauftheorie, bei der alle Tauschvorgänge zwischen Unternehmen und Haushalte erfasst werden. Alle hergestellten Waren und Dienstleistung bilden dabei die Wertschöpfung, sofern es sich nicht um eine Vorleistung handelt. Die Veränderung der Wertschöpfung zum Vorjahr dient als Maß der Entwicklung einer Volkswirtschaft.

Ziele und Bedeutung

„Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung verfolgt das Ziel, das Wirtschaftsgeschehen einer Volkswirtschaft für einen zurückliegenden und daher abgeschlossenen Zeitraum quantitativ möglichst umfassend zu beschreiben.“[1] Die ermittelten Werte werden in Form eines Kontensystems erfasst und in Form von Tabellen dargestellt. Die VGR dient der Politik als Informationsgrundlage für konjunkturelle und wirtschaftspolitische Entscheidungen. Ohne diese Daten könnten keine Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Daten der VGR dienen auch als gesamtwirtschaftliche Entscheidungsgrundlage. Angaben wie Einkommens- Produktivitäts- und Preisniveauentwicklungen werden von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände für Tarifverhandlungen. Auch viele Forschungsinstitute sind für ihre Analysen auf die Daten der VGR angewiesen. Die ermittelten Daten sind ebenso Maßstab für die Einhaltung des Stabilitätsgesetz von 1967. Auch internationale Organisationen sind auf das Material für die Ermittlung der Finanzierungsbeiträge und Leistungen, insbesondere der EU-Eigenmittel, angewiesen. Des Weiteren ist auch die Europäische Zentralbank auf die Werte der VGR angewiesen.

Historie der VGR

Die Grundlagen schufLuca Pacioli. Er entwickelte im Jahr 1494 die Buchführung. Etwa 10 Jahre später gab François Quesnay die Anregung einer systematischen Darstellung. Er entwickelte das Modell Tableau Economique in dem ein geschlossener Güter und Wirtschaftskreislauf vorlag. Dabei unterschied er zwischen den drei Sektoren der Landwirte, Bodeneigentümer und Händler. Daneben zeichnete er auch alle Strombewegungen zwischen den Sektoren auf. Eine Weiterentwicklung der Kreislauftheorie führte John Maynard Keynes 1936 durch. Keynes lieferte die Grundlage für die heute international verwendeten Systeme. Diese wurden für die OECD und UN in verschiedenen Fassungen von Richard Stone entworfen. Gegenwärtig existiert die dritte Auflage des System of National Accounts (SNA 1993). In den europäischen Gebieten ist das Europäischen System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 1995) verbreitet. Es basiert auf Richtlinien der UN. Das Ziel war die verbindliche Vereinheitlichung der verschiedenen nationalen Methoden, Konzepte, Klassifikationen, Definitionen und Buchungsregeln zur besseren Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU.

Berechnung des BIP

Das Bruttoinlandsprodukt ist über drei verschiedene Wege ermittelbar. Alle Berechnungsmethoden führen zum gleichen Ergebnis. Im Jahr 2007 betrug das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2422,9 Mrd. Euro. [2]

Entstehungsseite

Hier wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von der Produktionsseite dargestellt. Zentrale Größe bildet dabei die Bruttowertschöpfung. Diese ermittelt sich aus der Summe sämtlicher Produktionen abzüglich Vorleistungen. Diese Tabelle zeigt ein Beispiel des Jahres 2007 mit den Werten für Deutschland.[3]

Abb. 1 Entstehung des BIP 2007
Produktionswert 4.479,86 Mrd. €
Vorleistungen 2.308,0 Mrd. €
= Bruttowertschöpfung 2.171,8 Mrd. €
+ Gütersteuern abzügl. Gütersubventionen 251,1 Mrd. €
= Bruttoinlandsprodukt 2.422,9 Mrd. €

Verwendungsseite

Bei der Verwendungsseite erfolgt die Berechnung anhand der Nachfrageseite. Dabei wird die Verwendung für Waren und Dienstleistungen bestimmt. Die folgende Tabelle zeigt links die Komponenten der Verwendungsrechnung, die Werte auf der rechten Seite entsprechen deren Größe im nationalen BIP Deutschlands 2007.[3]

Abb. 2 Verwendung des BIP 2007
Private Konsumausgaben 1.373,72 Mrd. €
+ Konsumausgaben des Staates 435,64 Mrd. €
+ Bruttoinvestitionen 442,57 Mrd. €
+ Exporte 1.137,19 Mrd. €
Importe 966,22 Mrd. €
= Bruttoinlandsprodukt 2.422,90 Mrd. €

Verteilungsseite

Hier wird das BIP an Hand des entstandenen Einkommens gemessen. Die Aufteilung erfolgt an Hand des Volkseinkommens. Diese Tabelle zeigt auf der linken Seite die Komponenten der Verteilungsrechnung und rechts die dazugehörigen Daten aus dem Jahr 2007. [3]

Abb. 3 Verteilung des Volkseinkommens 2007
Arbeitnehmerentgelt 1.183,55 Mrd. €
+ Unternehmens- und Vermögenseinkommen 643,52Mrd. €
= Volkseinkommen 1.827,07Mrd. €
+ Produktions- und Importabgaben an den Staat abzüglich Subventionen 278,37 Mrd. €
+ Abschreibungen 358,75 Mrd. €
= Bruttonationaleinkommen 2464,19 Mrd. €
Primäreinkommen aus der übrigen Welt (Saldo) 41,29 Mrd. €
= Bruttoinlandsprodukt 2.422,9 Mrd. €

Vom BIP zum verfügbaren Einkommen

Abb. 4 Überblick der VGR 2007

Das BIP gibt Aufschluss über die Entwicklung der Produktion. Wichtig ist außerdem die Frage nach dem Konsummöglichkeiten einer Volkswirtschaft. Dazu sind Informationen über das verfügbare Einkommen erforderlich. Das Problem eines geeigneten Maßes für den Lebensstandard löst das Nettonationaleinkommen am treffendsten.

Dieses Beispiel verdeutlichst das schrittweise Vorgehen, mit Daten des Jahres 2007 [4]

Bruttoinlandsprodukt 2.422,9 Mrd. €
+ Einkommen aus der übrigen Welt (von Inländern im Ausland erzielte Einnahmen) 239,29 Mrd. €
− Einkommen an die übrigen Welt (von Ausländern im Inland erzielte Einnahmen) 198,00 Mrd. €
= Bruttonationaleinkommen 2.464,19 Mrd. €
− Abschreibungen 358,75 Mrd. €
= Nettonationaleinkommen 2.105,44 Mrd. €
− indirekte Steuern und Importabgaben (z.B. Umsatzsteuer) 305,46 Mrd. €
+ Unternehmenssubventionen 27,09 Mrd. €
= Volkseinkommen 1.827,07 Mrd. €
− direkte Steuern (z.B. Einkommensteuer) 7,54 Mrd. €
− Sozialbeiträge 399,87 Mrd. €
+ Transfereinkommen (z.B. Bafög) 653,74 Mrd. €
= verfügbares Einkommen 2.073,4 Mrd. €

Nebenrechnungen der VGR

Abb. 5 Teilgebiete der VGR

Input- Outputrechnung

Steht im engen Zusammenhang mit der Inlandsproduktsberechnung. Den zentralen Schwerpunkt bildet dabei die Beschreibung der güter- und produktionsmäßigen Verflechtung zwischen den Produktionsbereichen, sowie deren Anteil an den Gesamtwerten der Produktion, Einkommensentstehung und Verwendung.

Vermögensrechnung

Die Vermögensrechnung verfolgt das Ziel sämtliche Bestände an Sachgütern, Forderungen und Verbindlichkeiten zu erfassen. Des Weiteren wird der Einblick in die Zusammensetzung der Vermögensbestände ermöglicht. Als Hilfe dienen die Daten des Statistischen Bundesamtes und der Deutschen Bundesbank.

Finanzierungsrechnung

Gibt Aufschluss über die Veränderungen der Forderungen und Verbindlichkeiten der einzelnen Sektoren. Die Bestände können durch die Wahl anderer Anlageformen oder durch Anlageentscheidungen für neu gebildetes Vermögen variieren. Die Finanzierungsrechnung wird realisiert von der Deutschen Bundesbank.

Außenwirtschaftsrechnung

Die Außenwirtschaftsrechnung registriert alle Güter- und Kapitalströme zwischen Inländern und Ausländern. Ebenso wichtig ist die Entwicklung von Wechselkursen, Export und Importpreise sowie die realen Austauschverhältnisse, auch Terms of Trade genannt. Den wichtigsten Punkt repräsentiert die Zahlungsbilanz, diese zeigt Veränderungen der Kreditbeziehungen zum Ausland auf.

Arbeitsvolumenrechnung

Die Arbeitsvolumenrechnung ermittelt die Anzahl der Beschäftigten und Selbstständigen.

Einkommen für private Haushalte

Zeigt die Einkommensverteilung der privaten Haushalte nach Gruppen von Selbstständigen, Arbeitnehmer und Nichterwerbstätigen Haushalten.

Vergleichbarkeit

Der Vergleich des BIP kann auf zwei verschiedene Methoden durchgeführt werden. Zum einen kann ein zeitlicher Vergleich und zum anderen ein internationaler Vergleich durchgeführt werden. Bei den zeitlichen Vergleich besteht die Schwierigkeit darin, dass alle produzierten Güter zu Marktpreisen bewertet werden. Daher ist noch zwingend zu unterscheiden, ob sich die Produktion erhöht hat oder ob nur die Preise gestiegen sind. Zu diesem Zweck muss das Inlandsprodukt in eine Mengenkomponente und eine Wertkomponente zerlegt werden. Denn nur die reale Erhöhung der Produktion führt auch zu einem höheren Wohlstand der Volkswirtschaft. Zum besseren Vergleich ist es daher nötig, die reale Entwicklung zu bestimmen. Dies geschient anhand des BIP-Deflator. Auch bei dem internationalen Vergleich gibt es einige Schwierigkeiten. Das Größte stellt die Umrechnung in eine gemeinsame Währung dar. Dabei entsteht das Problem eines geeigneten Wechselkurses. Ausgangspunkt hierfür ist die Kaufkraftparität. Diese besagt das in zwei verschiedenen Ländern gleiche Güter gleichviel kosten sollen. Daraus lässt sich der Kaufkraftparitäten-Kurs (KKP-Kurs) ableiten. Dieser gibt Aufschluss darüber, wie hoch der Wechselkurs sein sollte, das die realen Preise einen einheitlichen Preisniveau unterliegen. Langfristig sollte der tatsächliche Wechselkurs und der KKP-Kurs gleich groß sein. Aber auch die unterschiedliche Erfassung und Bewertung von Gütern bei unterschiedlichen Wirtschaftssystemen könnte zu Verzerrungen führen. Bei den meisten westlichen Industrieländern ergeben sich aber keine bedeutenden Unterschiede. Diese Länder folgen den Empfehlungen des System of National Accounts der Vereinten Nationen. Eine Vergleichbarkeit ist daher nicht eingeschränkt. Zweifelhaft ist, ob ein Vergleich mit Ländern Afrikas relavant ist. Die meisten Daten beruhen auf Schätzungen, womit ein Vergleich für nicht aussagekräftig gilt.

Kritikpunkte

Die Kritik der VGR bezieht sich auf Ungenauigkeit der Daten oder dass bedeutende Faktoren nicht berücksichtigt werden. Hierzu zählt, die seit Anfang des 20-igsten Jahrhunderts zugenommene Schattenwirtschaft. Da diese Vorgänge ohne Rechnung erfolgen, fällt es sehr schwer, diese Vorgänge mit einzuberechnen. Weiterhin erfolgen manche Statistiken nur in mehrjährigen Abständen. Die nötigen Daten in den folgenden Jahren können somit nur geschätzt werden. Auch wohlstandsrelevante Faktoren wie Umweltschäden werden vernachlässigt. Eine produktionsbedingte Umweltverschmutzung führt in der Inlandsproduktrechnung nicht zu einer Verringerung des Wohlstandes. Hinzu kommt, dass meist mehrere Quellen mit unterschiedlichen Daten zur Verfügung stehen, da eine unklare Abgrenzung besteht und somit unterschiedliche Zuordnungen erfolgen. Nicht zu missachten ist, dass auf Grund der Komplexität der Rechnung Ungenauigkeiten nicht zu vermeiden sind. „Die Ungenauigkeit der Inlandsproduktzahlen werden oftmals auf eine Größenordnung von etwa drei Prozent geschätzt.“ [5]

Literatur

  • Dieter Brümmerhoff: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 8. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2007, ISBN 978-3-486-58335-9
  • Michael Frenkel und Klaus-Dieter John: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 5. Auflage. Vahlen Verlag, München 2003, ISBN 3-8006-2839-2
  • Franz Haslinger: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 6. Auflage. Oldenbourg Verlag, München 1992, ISBN 3-486-22406-9
  • Olivier Blanchard und Gerhard Illing: Makroökonomie. 4. Auflage. Pearson Studium, München 2006, ISBN 3-8273-7209-7
  • Statistisches Bundesamt Deutschland: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Inlandsprodukt nach ESVG 1995, Methoden und Grundlagen, Neufassung nach Revision 2005. Fachserie 18/Reihe S.22. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2007.

Weblinks

Belege

  1. Frenkel/John (2003), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, S. 5
  2. Statistisches Bundesamt Deutschland: Inlandsproduktsberechnung. Wichtige gesamtwirtschaftliche Größen. Internet http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Inlandsprodukt/Tabellen/Content75/Gesamtwirtschaft,templateId=renderPrint.psml, Abrufdatum: 25.11.2008.
  3. 3,0 3,1 3,2 Nach: Statistisches Bundesamt Deutschland, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. wichtige Zusammenhänge im Überblick. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „destatis“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „destatis“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. Statistisches Bundesamt Deutschland Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. wichtige Zusammenhänge im Überblick http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Zusammenhaenge,property=file.pdf Abrufdatum: 15.12.2008
  5. Frenkel/John (2003), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, S. 110.