Tit-for-tat-Strategie

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Tit for Tat (auf deutsch „wie du mir, so ich dir“), ist eine durch Robert Axelrods Buch Die Evolution der Kooperation bekannt gewordene Strategie für ein Spiel im Sinne der Spieltheorie. Sie bezeichnet eine Variante der Verhaltensregel „Auge um Auge, Zahn um Zahn: Tue anderen so, wie sie dir getan haben“.[1] Dieses Teilzitat aus dem Alten Testament wird meist als Anweisung an das Opfer oder seine Vertreter aufgefasst, dem Täter Gleiches mit Gleichem „heimzuzahlen“. Bereits in den sechziger Jahren wurde die Strategie des „Tit for Tat“ von Anatol Rapoport (Universität Toronto) erfunden.[2]

Begriffsklärung und Eigenschaften

In der Spieltheorie bezeichnet „Tit for Tat“ die Strategie eines Spielers, der in einem mehrperiodigen Spiel im ersten Zug kooperiert und danach genauso handelt wie sein Gegenspieler in der jeweiligen Vorperiode. Hat letzterer zuvor kooperiert, so kooperiert auch der „Tit-for-Tat“-Spieler. Hat der Gegenspieler in der Vorrunde hingegen defektiert, so antwortet der „Tit-for-Tat“-Spieler zur Vergeltung ebenfalls mit Defektion.[3]

Allerdings ist, wenngleich das aus dem Namen nicht hervorgeht, der Spieler zu Beginn auf jeden Fall kooperativ. Es handelt sich also um eine freundliche Strategie. Wenn zwei Tit-for-Tat-Spieler aufeinander treffen, kooperieren sie immer.

Das Potenzial der „Tit-for-Tat“-Strategie wurde in einem vielbeachteten Computer-Experiment von Robert Axelrod deutlich. Dabei bat Axelrod Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, ihm Strategien mitzuteilen, die in Form von Verhaltensregeln die Entscheidungen innerhalb eines wiederholten Gefangenendilemmas (wiederholtes Gefangenendilemma) bestimmen sollten. Mit diesen Strategien simulierte Axelrod ein Turnier, bei dem jeder Spieler wiederholt gegen jeden anderen antrat. Unter verschiedenen Versuchsbedingungen setzte sich immer wieder „Tit for Tat“ als eine der erfolgreichsten Strategien durch.[4]

In einem Spiel über mehrere Runden kann ein Spieler mit der Anwendung der „Tit for Tat“-Strategie nie besser abschneiden als der eigene Gegenspieler, da dieser immer das gleiche tut. Der maximale Rückstand ist dafür verhältnismäßig klein. Wenn der andere ebenfalls Tit for Tat spielt (oder eine andere Strategie, die auf Freundlichkeit immer freundlich reagiert), entsteht kein Rückstand. In einem Spiel mit mehreren Mitspielern dagegen schneidet man in vielen Fällen besser ab als Spieler mit anderen Strategien, da sich dort Kooperation bezahlt macht, die „Tit for Tat“-Strategie sich aber zugleich nicht „ausbeuten“ lässt (im Gegensatz zum Beispiel zur ausbeutbaren Strategie: „Kooperiere immer“).

Nach Axelrod verkörpert „Tit for Tat“ vier Elemente, die zu jeder wirkungsvollen Strategie im wiederholten Gefangenendilemma gehören:

*Klarheit
*Nettigkeit
*Provozierbarkeit
*Nachsichtigkeit

„Tit for Tat“ ist so klar und einfach wie es nur geht. Die Strategie ist nett, weil sie nie zuerst schummelt. Sie ist provozierbar, das heißt sie lässt Schummelei niemals unbestraft. Und sie ist nachsichtig, denn sie reagiert nicht eingeschnappt und ist bereit, die Kooperation wieder aufzunehmen.[5] Im Endlosspiel erhält der „Tit for Tat“-Spieler (TFT) die Auszahlung:[6]

- gegen einen Spieler, der immer kooperiert (K): (der Spieler erhält dieselbe Auszahlung)
- gegen einen anderen „Tit for Tat“-Spieler:
- gegen einen Spieler, der immer defektiert (D):

Beispiel

„Tit for Tat“ wurde als erfolgreiche Strategie im wiederholten Gefangenendilemma bekannt. Dabei stehen zwei Angeklagte vor einer schweren Entscheidung, denn das Urteil über ihre Schuld oder Unschuld wird nach strengen Regeln gefällt. Verrät nur einer der beiden den anderen, so wandert der Verratene für fünf Jahre hinter Gitter. Der Verräter jedoch wird freigesprochen und erhält zusätzlich noch eine Belohnung. Verraten sich beide gegenseitig, müssen beide für drei Jahre in den Knast. Und verrät keiner den anderen, werden beide freigesprochen. Allerdings bekommt dann keiner von ihnen eine Belohnung.

Wenn man nur eine einzelne dieser Entscheidungen betrachtet, wäre die Sache einfach: Jeder Angeklagte würde annehmen, dass der andere den größtmöglichen Gewinn wählt: die Freiheit und das Geld. Das Resultat wäre damit klar: Beide würden sich verraten und wanderten ins Gefängnis.

Werden die beiden Gefangenen wiederholt vor diese Entscheidung gestellt und ist beiden die jeweils vorherige Entscheidung des anderen bekannt, gibt es verschiedene Strategien, um das Spiel erfolgreich zu durchlaufen. „Tit for Tat“ ist dabei eine der erfolgreichsten. In diesem Beispiel bedeutet das, dass einer der Gefangenen generell kooperativ in das Spiel geht und dem anderen Teilnehmer hilft, indem er schweigt. Sollte der andere Gefangene nun nicht schweigen, so rächt sich der „Tit for Tat“-Spielende in der folgenden Runde, indem er auch nicht schweigt. Allerdings ist er bereit, sofort zu vergessen, wenn sich der Mitspieler bessert und wieder kooperativ spielt. In der nächsten Runde wird er auch wieder kooperativ spielen.

Probleme

Zwei Probleme von „Tit for Tat“ sind die schnelle Provozierbarkeit sowie der Vergeltungsautomatismus der Strategie. So ist die Regel in Situationen gefährlich, in denen Missverständnisse zur Auslösung des „Tit-for-Tat“-Mechanismus führen könnten. [7]

Die Problematik von Missverständnissen

Tit-for-Tat ist eine fehlerhafte Strategie, weil sie besonders anfällig für Missverständnisse ist. Die kleinste Möglichkeit eines Missverständnisses führt dazu, dass ihr Erfolg zusammenbricht. Setzt man Tit for Tat also in realen Problemsituationen ein, lassen sich Missverständnisse nicht vermeiden und die Folgen können katastrophal sein.[8]

Ein Beispiel:[9]

Im Jahre 1987 wurde die amerikanische Botschaft in Moskau von sowjetischen Agenten abgehört und ausspioniert. Die USA verringerten daraufhin die Zahl der in Washington zugelassenen sowjetischen Diplomaten. Die Sowjets wiederum zogen die einheimischen Hilfskräfte von der Moskauer US-Botschaft zurück und verlangten eine Verkleinerung der amerikanischen Delegation. Im Ergebnis wurde es für beide Seiten schwieriger, ihrer diplomatischen Tätigkeit nachzugehen.

Das Problem bei „Tit for Tat“ ist, dass jeder Fehler zu einem hin- und herspringenden Echo führt. Eine Seite straft die andere für den Bruch der Kooperation, und dies führt zu einer Kettenreaktion. Der Rivale antwortet, indem er zurückschlägt, was zu einer erneuten Bestrafung führt. Die Strategie akzeptiert keine Strafe ohne Vergeltung. Doch der ständige Versuch, mit der anderen Seite gleichzuziehen, weil man um eins hinten liegt, ist zum Scheitern verurteilt.[10]

Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen

Es ist unerheblich, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ein Missverständnis ist. Tit for Tat-Spieler werden langfristig in der Hälfte der Zeit kooperieren, in der anderen Hälfte nicht, genauso wie es bei einer reinen Zufallsstrategie der Fall wäre. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses gering ist, wird es länger dauern, bis Streitigkeiten entstehen. Wenn der Fehler einmal da ist, wird es wesentlich länger dauern, bis er beseitigt ist.[11]

Die Möglichkeit eines Missverständnisses bedeutet, dass man nachsichtiger, aber nicht vergesslicher sein muss, als beim einfachen „Tit for Tat“. Das gilt zumindest bei einer geringen Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses, z.B. fünf Prozent. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses 50 Prozent erreicht, gibt es keinerlei Hoffnung auf Kooperation. Sie sollten sich immer opportunistisch Verhalten. Die folgenden beiden Extremfälle verdeutlichen diese Aussage:[12]

1.Sie kooperieren immer, ihr Gegner missversteht sie im Schnitt jedes zweite Mal. Er wird also annehmen, dass sie je zur Hälfte kooperieren und sich opportunistisch verhalten.

2. Sie verhalten sich immer opportunistisch, ihr Gegner missversteht sie im Schnitt jedes zweite Mal. In diesem Fall ist es zu ihren Vorteil, weil ihr Gegner glaubt, sie kooperieren in der Hälfte der Zeit.

Egal welche Strategie man wählt, man hat keinen Einfluss darauf, wie der Partner einen selbst einschätzt. Bis zu einem bestimmten Punkt lohnt es sich nachsichtig zu sein. Wird die Fehlerwahrscheinlichkeit zu hoch, bricht die die Möglichkeit dauerhafter Kooperation in einem Gefangenendilemma zusammen. Man wird einfach zu leicht ausgenutzt. Eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein Missverständnis ist der ungünstigste Fall. Wenn es mit Sicherheit zum Missverständnis kommt, könnte man jede Botschaft einfach als ihr Gegenteil auffassen und es gäbe kein Missverständnis mehr.[13]


„Tit for Tat“ fehlt eine Möglichkeit zu sagen: „Es reicht“. Es ist gefährlich, diese Regel in Situationen anzuwenden, in denen Missverständnisse weit verbreitet sind, denn „Tit for Tat“ lässt sich zu schnell provozieren. Man sollte nachsichtiger sein, wenn ein Bruch der Kooperation eher ein Fehler als die Regel zu sein scheint. Auch bei einem absichtlichen Kooperationsbruch kann man nach einer ausreichend langen Runde von Bestrafungen die Kooperation wieder aufbauen. Gleichzeitig sollte man nicht zu nachsichtig sein und riskieren „ausgebeutet“ zu werden.[14]

Handlungsalternative: Bestrafung durch „Tit for Tat“

„Tit for Tat“ bestraft vorschnell auch solche Partner, die sich über längere Zeit kooperativ verhalten haben. Ein funktionierender Weg aus dem Dilemma ist eine Strategie, die besser unterscheidet: Nachsichtigkeit, wenn das opportunistische Verhalten eine Ausnahme zu sein scheint und Strafe, wenn es als Regel erscheint.„Tit for Tat“ kann als Strafe eingesetzt werden, wenn es den Anschein hat, dass die andere Seite einen selbst ausnutzen will. Folgende Richtlinien sind dabei zu beachten:[15]

1. Fangen Sie mit Kooperation an.

2. Verfolgen Sie genau, wie oft die andere Seite sich opportunistisch verhält, während Sie kooperieren.

3. Wenn der Anteil opportunistischen Verhaltens zu hoch wird, kehren Sie zu „Tit for Tat“ zurück.


Um den unzumutbaren Anteil des opportunistischen Verhaltens festzulegen werden kurz-, mittel- und langfristige Informationen über die Geschichte des Verhaltens der anderen Seite benötigt. Das bedeutet, dass man wissen muss, was der Partner in „jüngster Zeit“ für einen selbst getan hat. Eine langfristige Betrachtung alleine reicht nicht aus. Wenn jemand über längere Zeit kooperativ war, heißt das noch nicht, dass er einen jetzt nicht ausnutzen wird. Ein Beispiel einer solchen Strategie: Beginnen Sie mit Kooperation bis einer der folgenden Tests negativ ausfällt:

  • Erster Eindruck: Opportunistisches Verhalten gleich beim ersten Zug. Kehren Sie zu „Tit for Tat“ zurück!
  • Kurze Frist: Opportunistisches Verhalten in zwei von drei Runden. Kehren Sie zu „Tit for Tat“ zurück!
  • Mittlere Frist: Opportunistisches Verhalten in drei aus den letzten 20 Runden. Kehren Sie zu „Tit for Tat“ zurück!
  • Lange Frist: Opportunistisches Verhalten in fünf der letzten 100 Runden. Kehren Sie zu „Tit for Tat“ zurück!

Die Bestrafung durch „Tit for Tat“ muss sich nicht endlos fortziehen. Handelt es sich um die erste Verletzung von einem dieser vier Tests, dann kehren Sie nach circa 20 Perioden des „Tit for Tat – Echos“ mit abwechselnd opportunistischem Verhalten wieder zur Kooperation zurück. Jedoch sollte die andere Seite auf Bewährung gesetzt werden. Das heißt, dass die Schwellen für erlaubtes Fehlverhalten im mittel- und langfristigen Test herabgesetzt werden sollten. Besteht die andere Seite die Bewährung 50 Perioden lang, kehren Sie zu den ursprünglichen Standards zurück. Wenn nicht, dann kehren Sie für immer zu „Tit for Tat“ zurück.[16]

Das wichtigste Prinzip besteht darin, nicht jedes opportunistisches Verhalten gleich zu bestrafen. Es müssen Vermutungen darüber angestellt werden, ob ein Missverständnis vorliegt, sei es auf der Seite des Gegners oder auf der eigenen. Die zusätzliche Nachsichtigkeit erlaubt den Gegenern zwar ein wenig zu schummeln, hat aber zur Folge, dass das Vertrauen, was bisher in diesen Gegner gesetzt wurde, germindert wird. Treten daraufhin Missverständnisse auf, wird der Vorfall nicht mehr akzeptiert werden. Der Opportunismus des Gegners schadet ihm selbst.


Einen Nachteil besitzt diese Strategie. Tritt sie alleine gegen einen konsequenten Verräter an, so wird sich der konsequente Verräter durchsetzen. So ist es in der Realität extrem schwierig, beispielsweise aus einem Kriegszustand heraus, durch einen einseitigen Waffenstillstand die Einstellung der gegnerischen Strafaktionen zu provozieren. Die Strategie kann nur dann gewinnen, wenn sich auch andere freundliche Partner finden, die durch kooperatives Verhalten dafür sorgen, dass der (einmalige) Nachteil aus dem Verrat des konsequenten Verräters nach spätestens zwei gelungenen Kooperationen kompensiert wird. Anders formuliert: Ein Schaf unter vielen Wölfen wird zerrissen, eine hinreichend große Herde von Schafen gewinnt dagegen gegen ein Rudel Wölfe.[17]

Literatur

  • Anatol Rapoport / Albert M. Chammah: Prisoner’s Dilemma - A Study in Conflict and Cooperation, 2. Auflage, University of Michigan Press, Ann Arbor 1970.
  • Avinash K Dixit / Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger - Strategisches Know-how für Gewinner, Schäffer-Poeschel-Verlag, Stuttgart 1997, ISBN 3-7910-1239-8.
  • Avinish K. Dixit, Susan Skeath: Games of Strategy, 2. Auflage. W.W. Norton & Company, New York 2004, ISBN 0-393-92499-8.
  • Guerillakrieg.de: „Spieltheorie“ URL: http://www.guerillakrieg.de/ge/geFIndex.html?http://www.guerillakrieg.de/ge/geSpieltheorie.html, vom 13.06.2004
  • Harald Wiese: Entscheidungs- und Spieltheorie, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg 2002, ISBN 3-540-42747-3.
  • Robert Axelrod: Die Evolution der Kooperation., Oldenburg 2005, ISBN 3-486-53995-7.
  • Thomas Riechmann: Spieltheorie. 2. Auflage, Verlag Franz Vahlen, München 2008, ISBN 978-3-8006-3505-4.
  • Universität Münster: „Tit for Tat“-Strategie URL: http://www.wiwi.uni-muenster.de/06//toplinks/glossar/glossar.php?begriff=64 (Erstellungsdatum unbekannt)

Weblinks

Belege

  1. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 105.
  2. Institute for Advanced Studies: Anatol Rapoport.
  3. Universität Münster: „Tit for Tat“-Strategie.
  4. Universität Münster: „Tit for Tat“-Strategie.
  5. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 105.
  6. Thomas Riechmann: Spieltheorie, S. 29 ff.
  7. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 105ff., 108.
  8. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 106 f.
  9. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 106 f.
  10. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 106 ff.
  11. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 110.
  12. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 110f.
  13. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 111.
  14. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 108.
  15. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 112.
  16. Avinash K. Dixit, Barry J. Nalebuff: Spieltheorie für Einsteiger, S. 112 ff.
  17. Guerillakrieg.de: Spieltheorie [1].