Lebenszyklushypothese

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Grundgedanke des Sparverhaltens im Lebenszyklus nach Modigliani (extrem vereinfachte Realität); in Anlehnung an Freess, Tibitanzl; Makroökonomie, München, 1994, S. 60
Lebenszyklus-Konsumfunktion; Konsum ist abhängig von Vermögen und Einkommen; in Anlehnung an Mankiw; Makroökonomik, Stuttgart, 2000, S. 498
Verschiebung der Konsumfunktion durch Vermögensänderung (hier: Zunahme des Vermögens); in Anlehnung an Mankiw; Makroökonomik, Stuttgart, 2000, S. 498
Konsum, Einkommen und Vermögen während des Lebenszyklusses; in Anlehnung an Mankiw; Makroökonomik, Stuttgart, 2000, S. 499

Die Lebenszyklushypothese (auch: Lebenszyklustheorie oder Lebenszeit-Einkommenshypothese) ist ein Begriff aus der Volkswirtschaftslehre und ist eine grundlegende Theorie für individuelles und gesamtwirtschaftliches Sparen.[1] Wichtigster Aspekt ist die Bedeutung von Ersparnis und Kreditaufnahme für den Transfer von Ressourcen (Einkommen) über die Lebenszeit eines Individuums.[2] Von Franco Modigliani entwickelt, setzt sich diese Konsumtheorie neben der relativen Einkommenshypothese von James Duesenberry und der permanenten Einkommenshypothese von Milton Friedman ebenfalls mit der langfristigen Konsumfunktion auseinander.[3] Alle genannten Ansätze beziehen sich dabei auf empirische Untersuchungen zur kurz- und langfristigen Konsumfunktion, die insbesondere auf Simon Kuznets zurückgehen.[1]

Die Lebenszyklustheorie geht hervor aus der Annahme, dass jedes Individuum versucht, seinen Lebensstandard über die gesamte Lebenszeit stabil zu halten.[4] Somit bezieht ein Individuum sein Konsum- und Sparverhalten nicht, wie bei der Konsumfunktion angenommen, jeweils auf eine Periode und dem damit verfügbaren Einkommen, sondern es plant langfristig über alle Perioden, um den eigenen Konsum bestmöglich auf die gesamte Lebenszeit zu verteilen.[5]

Dabei wird unterstellt, dass das Durchschnittseinkommen eines Konsumenten bei langfristiger Sicht nahezu konstant ist.[6] Somit spielen kurzfristige Veränderungen der Einkommenshöhe über die Lebenszeit eines Individuums keine Rolle.[3]

Theoriengeschichte

In den 1950er Jahren untersuchte Modigliani in Zusammenarbeit mit Richard Brumberg und Albert Ando die Konsumfunktion. Sie entwickelten gemeinsam in mehreren grundlegenden Aufsätzen die heutige Lebenszyklushypothese des Sparens und Konsums.[7] Basis der Untersuchungen bildete das Modell des Haushaltsverhaltens von Irving Fisher. Ziel war es, die Widersprüche aufzuklären, die sich bei der Verbindung der keynesianischen Konsumfunktion mit empirischen Daten zeigten. Fishers Modell nahm an, dass der Konsum eines Individuums von seinem Lebenszeiteinkommen abhängt. Modigliani verfeinerte diese Aussage und betonte, dass das Einkommen einer Person im Laufe ihres Lebens ständigen Veränderungen unterliegt. Allerdings kann die Ersparnis, die durch Sparen in Zeiten höheren Einkommens gewonnen wird, in Lebensabschnitte niedrigeren Einkommens verschoben werden. Diese Annahme bezüglich des Konsumverhaltens diente als Grundlage für die Lebenszyklushypothese.[2]

Die moderne Konsumtheorie ist eine Verschmelzung der Lebenszyklustheorie von Franco Modigliani und der permanenten Einkommenstheorie von Milton Friedman, da sich beide Grundtheorien sehr ähneln. Diese kombinierte Theorie wird von Ökonomen auch als Lebenszyklus-Permanente Einkommenshypothese bezeichnet. Modigliani vertritt dabei den keynesianischen Ansatz, Friedman den modernen Monetarismus.[5]

1985 wurde Modigliani für seine Arbeit an der Lebenszyklushypothese mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet.[8]

Darstellung und Abgrenzung

Die Lebenszyklustheorie betrachtet, wie ein Konsument seinen Lebensstandard während seiner gesamten Lebenszeit stabil hält, auch wenn sich sein Einkommen ändert.[9] Es wird impliziert, dass ein typisches Individuum in der ersten Lebensphase (Kindheit, Jugend) ein sehr geringes Einkommen hat und auch während der Ausbildung auf Kredite zurückgreifen muss (Entsparen), um den gewünschten Lebensstil zu erreichen. Im anschließenden aktiven Erwerbsleben steigt das Einkommen immer mehr an und wird dann zur Vermögensbildung (Sparen) sowie Rückzahlung der Kredite verwendet. In der Ruhestandsphase ist das Einkommen wieder geringer (Rentenbezug) und es wird auf das gesparte Vermögen zurückgegriffen (Entsparen).[1] [10] Am Lebensende (zum optimalen Zeitpunkt des Todes) ist das zur Lebenszeit angefallene Vermögen vollständig aufgebraucht, das heißt, Sparen und Entsparen heben sich auf.[11] Dieses stark vereinfachte Modell nimmt an, dass das Individuum während seiner Lebzeiten keine Erbschaften sowie Schenkungen erhalten, und weder Schulden noch Vermögen angehäuft hat.[10]

Die permanente Einkommenstheorie prognostiziert hingegen, welches Einkommen dem Konsumenten über seine Lebenszeit zur Verfügung steht.[9]

Der Grundgedanke der Lebenszyklustheorie ist extrem realitätsfern.[6]

Herleitung

In Bezug auf einen Konsumenten wird Folgendes angenommen:

  • er hat noch T Jahre zu leben
  • sein Vermögen beläuft sich auf die Höhe W
  • er erwartet bis zum Lebensende noch ein Einkommen Y
  • er arbeitet noch R Jahre und scheidet dann aus dem Erwerbsleben aus

Zur Vereinfachung wird weiterhin angenommen, dass der Zinssatz (und somit Zinserträge aus Ersparnissen) gleich Null ist. Der Betrag, welcher dem Konsumenten nun zur Verfügung steht, ergibt sich aus seinem Vermögen W und seinem Lebenszeiteinkommen (R*Y). Diesen Betrag kann der Konsument auf seine verbleibenden Lebensjahre T verteilen. Die Lebenszyklushypothese impliziert nun, dass der Konsument seinen Konsum über diesen Zeitraum T glättet, also den verfügbaren Betrag zu gleichen Teilen aufteilt.

Formt man diese Gleichung um, erhält man folgende Konsumfunktion für den Konsumenten:

Die aggregierte makroökonomische Konsumfunktion lautet dann

mit der marginalen Konsumneigung aus Vermögen α und der marginalen Konsumneigung aus Einkommen β.[12]

Mathematisches Beispiel

Die Lebenszyklushypothese ist ein dynamisches mikroökonomisches Partialmodell mit einem endlichen Zeithorizont T. In ihm maximiert ein einzelnes Individuum seinen Nutzen. Die Nutzenfunktion hat die üblichen neoklassischen Annahmen. Sie enthält kein Erbschaftsmotiv. Vereinfacht wird der Nutzen künftiger Perioden gleich zum Nutzen der heutigen Periode wertgeschätzt (kein subjektiver Zeitdiskont). Das Individuum hat sein Leben lang ein konstantes Arbeitseinkommen e, ein Ruhestand wird vereinfacht nicht unterstellt. Das Vermögen V erwirtschaftet den Zinssatz r. Das Kalkül lautet dann: Maximiere die Nutzenfunktion

speziell

unter den Nebenbedingungen

als Budgetgleichung und
als Bestandsgleichung des Vermögens sowie
und als Anfangs- und Endbedingung.

Nach Bildung des Lagrange-Ansatzes, der Anwendung der Kuhn-Tucker-Bedingungen und der partiellen Ableitung nach und erhält man nach der Berechnung des Konsums jeder Periode als Ergebnis die nachstehende Sparfunktion

Normalisiert und diskontiert auf die erste Periode ist das

steht für den Konsum der ersten Periode und ist eine feste Zahl, abhängig von Zinsen und Einkommen. Diskontiert wird die Ersparnis im Laufe des Lebens immer geringer. Der Konsum nimmt in diesem Modell mit der Rate des Kapitalmarktzinssatzes zu. Da stets größer als ist, wird in der normalisierten Gleichung der Subtraktor im Zeitablauf immer größer, was die Ersparnis sinken lässt. Für große Zinssätze kann man im nicht diskontierten Modell anfangs eine Steigerung der Sparleistung erkennen. Diskontiert man diese Werte aber auf den Beginn des Lebenszykluskalküls herunter, werden auch diese stets geringer.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Alisch: Wirtschaftslexikon. 16. Auflage. Gabler Verlag, Wiesbaden 2004
  2. 2,0 2,1 Mankiw: Makroökonomik. 4. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2000, S. 597 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Mankiw“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  3. 3,0 3,1 Dieckheuer: Makroökonomik – Theorie und Politik. 4. Auflage. Springer, Berlin 2001, S. 407-408 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Dieckheuer“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  4. Dornbusch/Fischer/Startz: Makroökonomik. 8. Auflage. Oldenbourg, München, Wien 2003, S. 404
  5. 5,0 5,1 Dornbusch/Fischer/Startz: Makroökonomik. 8. Auflage. Oldenbourg, München, Wien 2003, S. 403-404
  6. 6,0 6,1 Feess/Tibitanzl: Makroökonomie. Band 2. Franz Vahlen, München 1994, S. 60 Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Feess“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  7. Snowdon/Vane: An Encyclopedia of Macroeconomics. 1. Auflage. Elgar, Cheltenham 2002, S. 488-489
  8. Snowdon/Vane: An Encyclopedia of Macroeconomics. 1. Auflage. Elgar, Cheltenham 2002, S. 488
  9. 9,0 9,1 Dornbusch/Fischer/Startz: Makroökonomik. 8. Auflage. Oldenbourg, München, Wien 2003, S. 403
  10. 10,0 10,1 Feess/Tibitanzl: Makroökonomie. Band 2. Franz Vahlen, München 1994, S. 59
  11. Flaschel/Groh/Proaño: Keynesianische Makroökonomie – Unterbeschäftigung, Inflation und Wachstum. 2. Auflage. Springer, Heidelberg 2008, S. 163
  12. Mankiw: Makroökonomik. 4. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2000, S. 497

Literaturverzeichnis

  • Dieckheuer: Makroökonomik – Theorie und Politik. 4. Auflage. Springer, Berlin 2001, 3-540-41449-5.
  • Dornbusch/Fischer/Startz: Makroökonomik. 8. Auflage. Oldenbourg, München, Wien 2003, 3-486-25713-7.
  • Flaschel/Groh/Proaño: Keynesianische Makroökonomie – Unterbeschäftigung, Inflation und Wachstum. 2. Auflage. Springer, Heidelberg 2008, 978-3-540-74858-8.
  • Feess/Tibitanzl: Makroökonomie. Band 2. Franz Vahlen, München 1994, 3-8006-1772-2.
  • Alisch: Wirtschaftslexikon. 16. Auflage. Gabler Verlag, Wiesbaden 2004.
  • Mankiw: Makroökonomik. 4. Auflage. Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2000, 3-7910-1615-6.
  • Snowdon/Vane: An Encyclopedia of Macroeconomics. 1. Auflage. Elgar, Cheltenham 2002, 1-84542-180-9.