Finanzkrise

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Mit dem Begriff Finanzkrise (Financial crisis) wird aktuell die größte Störung des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems (Great recession) bezeichnet, die bislang im 21. Jahrhundert zu beobachten war. Aber schon zuvor waren immer wieder Finanzkrisen zu beobachten, die jedoch zumeist regional begrenzt waren, wie z.B. die Asienkrise. Auch die Ursache der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre (Great depression) kann als Folge einer Finanzkrise gesehen werden.

Auslösung

Ausgelöst wurde die letzte globale Finanzkrise durch ein Sinken der Immobilienpreise in den USA, brachen die Märkte hypothekengesicherter Schuldverschreibungen und daraus abgeleiteter Wertpapiere zusammen. Als am 15.9.2008 mit Lehman Brothers die viertgrößte Investitionsbank der USA Insolvenz beantragte, nahmen Kreditabbau und Veräußerung von Vermögenswerten zu Schleuderpreisen weltweit krisenhafte Ausmaße an. Die ausgedehnten globalen Kreditketten zogen sich zusammen. Auf dem Interbankenmarkt stellten sich Banken kurzfristig nicht mehr gegenseitig Geld zur Verfügung. Die Zentralbanken übernahmen diese Funktion, um einen völligen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern.

Auswirkungen

Die globale Finanzkrise von 2008/2009 zerstörte nachhaltig den Mythos von der Effizienz und Selbstregulierungsfähigkeit der Finanzmärkte. Die Bedingungen der Unternehmensfinanzierung außerhalb des Finanzsektors verschlechterte sie drastisch. Produktion und Beschäftigung brachen ein. Die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an. Stark betroffen waren die sieben großen Industriestaaten (G7): Hier stiegt die Arbeitslosigkeit von 5,4% im Jahr 2007 auf 8,1% im Jahr 2010, die Staatsverschuldung – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – stieg von 80% im Jahr 2007 auf 120% im Jahr 2012. Die Arbeitslosigkeit ging im G7-Durchschnitt erst 2016 wieder auf das Niveau von 2007 zurück, die Schuldenquote blieb auf hohem Niveau. Die Bedeutung der Finanzkrise für die globale Unordnung kann kaum überschätzt werden: In der EU traf sie auf eine unvorbereitete Eurozone, die mit ihrer Unfähigkeit zu einer gemeinsamen antizyklischen Fiskalpolitik zur Krisenverschärfung beitrug. Sie verstärkte die Krise der Vormachtstellung G7, insbesondere der USA, die vom Aufstieg Chinas zur seit 2014 größten und von Indien seit 2009 drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt befeuert wird. Sie mündete in einer Globalisierungskrise, die sich an der Wachstumsverlangsamung des internationalen Handels und der internationalen Direktinvestitionen ablesen lässt.

Ursachenanalysen und Strategieoptionen

Der Begriff Finanzkrise drückt aus, dass die erste globale Wirtschaftskrise des 21. Jahrhunderts vom weltweiten vernetzten Finanzsektor ausgegangen ist. Die kontroversen Ursachenanalysen und Strategieoptionen lassen sich grob um die Begriffe Staatsversagen, Marktversagen und Systemversagen gruppieren.

Staatsversagen

Staatsversagen (auch Politikversagen bzw. Government failure) als Ursache für krisenhafte Kreditzyklen wird von Anhänger*innen der österreichischen Schule der Ökonomie um Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek hervorgehoben: laxe Zinspolitik der Zentralbanken provozieren Schuldenaufbau und nachlässige Investitionsentscheidungen, durch die Konjunktur wieder anziehende Zinsen decken den fehlgeleiteten Produktionsaufbau auf und münden in eine Reinigungskrise, die dieses Politikversagen wieder korrigieren muss.

Marktversagen

Marktversagen steht im Fokus bei Erklärungsansätzen, die sich auf den Keynesianismus stützen: Hier ist der private Finanzsektor selbst für das Entstehen finanzieller Instabilität verantwortlich. Überschäumender Optimismus und nachlässige Bonitätsprüfungen der Banken führen im von Hyman Minsky beschriebenen Finanzzyklus dazu, dass Unternehmen und Haushalte gesicherte Finanzpositionen zugunsten spekulativer verlassen, bei denen sie zwar noch die Zinsen zahlen, aber aufhören, ihre Schulden zu tilgen. Die systemische Instabilität des Finanzsystems offenbart sich, wenn bereits leichte Einkommensrückgänge dazu führen, dass die Schuldner*innen in hochriskante Finanzpositionen wechseln, in der sie immer mehr und immer kurzfristigere Schulden aufnehmen, um überhaupt noch einen Schuldendienst leisten zu können. Staatlichen Regulierungen und Interventionen kommen daher eine zentrale Rolle bei der Stabilisierung des Finanzsektors zu.

Systemversagen

Bei Positionen, welche die Finanzkrise als Ausdruck eines Systemversagens interpretieren, steht die Vermögen- und Einkommensverteilung im Mittelpunkt sowie die Wechselwirkung zwischen Finanzsektor und Realsektor der Volkswirtschaft. Besondere Prominenz bekam seit den 2000er Jahrn die These einer Finanzialisierung. Diese hebt auf eine steigende Bedeutung der Finanzsphäre im Wirtschaftssystem ab, die immer direkter Einfluss auf die reale Akkumulation des Kapitals nimmt. Finanzkrisen werden dadurch komplexer und langwieriger. Die Instabilitäten der Akkumulation sind daher nur durch eine Überwindung des Kapitalismus zu beseitigen.

Fazit

Der Begriff der Finanzkrise beschreibt ein wiederkehrendes Phänomen des gegenwärtig global dominierenden Wirtschaftssystems und lässt Raum für analytische und strategische Kontroversen.

Literaturverzeichnis

  • Braunmühl, Claudia von, Heide Gerstenberger und Ralf Ptak, Hrsg. (2019), ABC der globalen (Un)Ordnung: Von »Antifeminismus« bis »Zivilgesellschaft«. Hamburg: VSA. ISBN 978-3-96488-003-1
  • Huffschmid, Jörg (2009): "Fehlverhalten, Regulierungsmängel oder Systemdynamik? Zu den Hintergründen und Ursachen der Finanzkrise“, in: Thomas Sauer/Silke Ötsch/Peter Wahl (Hrsg.), Das Casino schließen! Analysen und Alternativen zum Finanzmarktkapitalismus, Hamburg: VSA. ISBN 978-3-8996-5338-0
  • Tooze, Adam (2018): Crashed: Wie zehn Jahr Finanzkrise die Welt verändert haben. München: Siedler. ISBN 978-3-8275-0085-4

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