Eurosklerose

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Der von dem deutschen Nationalökonom Herbert Giersch geprägte Begriff Eurosklerose wird für die Zeit von 1973 bis 1986 in der Politik Europas verwendet und bezeichnet die Abkehr der Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von den zuvor bereits geschaffenen Gemeinsamkeiten (Öffnung der Märkte innerhalb Europas).


Begriffserklärung

Der Begriff Eurosklerose setzt sich zusammen aus den Begriffen „Euro“ (Europa / europäisch) und „Sklerose“ (medizinisch: Verhärtung / Verkalkung / Verstopfung von Arterien, Organen, etc).

In der Zeit von 1973 bis 1986 war keiner der EWG-Mitgliedsstaaten bereit, Marktregulierungs-Kompetenzen an die EWG abzutreten. Dies hatte zur Folge, dass:

  • schwache Wirtschaftbereiche von den Nationalstaaten gestützt und subventioniert wurden, was den Wettbewerbszielen der EWG zuwiderlief;
  • sich der freie Warenverkehr in der Gemeinschaft nicht verbesserte. Stattdessen wurden durch zahlreiche nationale Vorschriften noch höhere Markteintrittsbarrieren geschaffen, die es ausländischen Unternehmen so gut wie unmöglich machten, auf den jeweiligen Inlandsmärkten zu agieren;
  • der gemeinsame Agrarmarkt praktisch aufgehoben wurde. Die Staaten griffen zugunsten des jeweils eigenen Agrarsektors ein;
  • an den Grenzen versucht wurde, Preisunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten auszugleichen, unterschiedliche nationale Verkaufssysteme und Normen beizubehalten und sogar noch auszubauen.[1]


Begriffsherkunft

Der Begriff Eurosklerose wurde erstmals von dem deutschen Nationalökonom Herbert Giersch (1987) verwendet. Von seinen Kollegen und den Medien aufgegriffen entwickelte sich dieser Begriff zu einem Schlagwort für die Beschreibung der Politik Europas in den 70er und 80er Jahren.[2]


Herbert Giersch wurde 1964 als Gründungsmitglied in den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ (umgangssprachlich „Die fünf Wirtschaftsweisen“ genannt) berufen und prägte bis 1970 maßgeblich die Arbeit dieses Gremiums und die jährlichen Gutachten. Der ehemalige Keynesianer (John Maynard Keynes) - Erfinder der „Konzertierten Aktion“ und der „Globalsteuerung“ - wurde später zum Angebotstheoretiker.[3]


Einordnung in den geschichtlichen Zusammenhang

Die EWG ist der ursprüngliche Name eines Zusammenschlusses europäischer Staaten zur Förderung der gemeinsamen Wirtschaftspolitik im Rahmen der europäischen Integration. 1993 wurde die EWG angesichts ihrer mittlerweile erweiterten Aufgabenstellung in Europäische Gemeinschaft (EG) umbenannt.

Die Idee zur Schaffung eines gemeinsamen Marktes reicht bis in die Zeit der gescheiterten EVG-Verträge (Europäische Verteidigungsgemeinschaft) aus dem Jahr 1952 zurück.

Die sechs Staaten der EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl / auch Montanunion genannt) – Frankreich, Italien, Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg – einigten sich auf die Vereinheitlichung des gemeinsamen Marktes durch Abschaffung von Zollschranken und Kontingentierungen (mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbestimmungen), den freien Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr, die gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten und die Schaffung europäischer Institutionen. Die Verhandlungen über den gemeinsamen Markt standen unter dem Einfluss des Aufstands in Ungarn und der Suezkrise, die den Regierungschefs eindringlich die Notwendigkeit der europäischen Zusammenarbeit vor Augen führte. Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag) und jener der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag / EURATOM) wurden am 25. März 1957 in Rom von den sechs Mitgliedern der Montanunion (EGKS) unterzeichnet (Römische Verträge).

1967 wurden die Montanunion, die EWG und EURATOM zu den Europäischen Gemeinschaften (EG) zusammengefasst. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Teil der Europäischen Union (EU).[4]


Beispiele

Agrarsektor

Mit den Beitrittsanträgen der europäischen „Südstaaten“ Griechenland, Spanien und Portugal, stellte sich die Europäische Gemeinschaft neuen Herausforderungen. Die Griechen, die ihre Mitgliedschaft bereits 1975 beantragt hatten, wurden 1981 formell aufgenommen. Die Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal verzögerten sich wegen wirtschaftlicher und finanzieller Bedenken der ursprünglichen Mitglieder einerseits sowie Forderungen nach Sonderregelungen und Vergünstigungen andererseits. Sehr fraglich schien es zu diesem Zeitpunkt, ob die rückständige industrielle Produktion der Antragsteller sich dem Wettbewerb der Gemeinschaft würde stellen können. Umgekehrt wurden die volkswirtschaftlich besonders bedeutsamen Agrarsektoren dieser Kandidaten von den bestehenden Mitgliedsstaaten sehr problematisch gesehen, denen starke Konkurrenz z.B. bei Wein und Südfrüchten sowie durch die spanische Fischerei drohte. Ein stark wachsender Agrarmarkt würde die in diesem Bereich bereits ohnehin durch Preisgarantien und Stützungskäufe unverhältnismäßig hohe Belastung des Gemeinschaftshaushalts noch erheblich steigern. Griechenland als jüngstes Mitglied gewährte seine Zustimmung zu den schließlich 1986 wirksam werdenden Beitritten Spaniens und Portugals nur durch erhebliche Sondervergünstigungen.

Die sehr zögerliche Aufnahme der beiden iberischen Staaten stellte eine Phase innerer Lähmung dar, die die Gemeinschaft zu Anfang der 1980er Jahre befallen hatte. Verstärkt wurde dieser Zustand zusätzlich durch die Forderung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die eine Abänderung der Finanzierungsgrundlagen der EG zugunsten Englands verlangte („I want my money back!“) und dies zur Voraussetzung jeglicher Kooperationsbereitschaft in wichtigen Fragen der Gemeinschaftsentwicklung machte. Erst als die Differenz zwischen hohen Einfuhrzöllen, die Großbritannien an den EG-Haushalt abzuführen hatte, und relativ geringen Rückflüssen für die britische Landwirtschaft (beides hing mit Besonderheiten der in den Commonwealth of Nations eingebundenen Wirtschaftsstruktur der Insel zusammen) durch den sogenannten „Briten-Rabatt“ (ein 40-prozentiger Nachlass auf die britischen Pflichtbeiträge zum EG-Haushalt, der durch die Erhöhung der EG-Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer ausgeglichen werden musste) 1984 großzügig abgegolten wurde , endete diese Eurosklerose.[5]


Arbeitsmarkt

Einige Ökonomen vertreten die Ansicht, die hohe Arbeitslosigkeit in Europa (seit 1980 dauernd zwischen 7 und 10 %) sei auf Rigiditäten auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Sie machen das hohe Niveau der Arbeitslosenunterstützung, hohe Mindestlöhne und den zu stark ausgeprägten Arbeitnehmerschutz für dieses Problem verantwortlich. Eine mögliche Lösung sehen sie in einem drastischen Abbau dieser Rigiditäten.

Andere Ökonomen sehen die Explosion der Löhne in den 70er Jahren, den starken Anstieg der Lohnnebenkosten sowie eine verfehlte Wirtschaftspolitik mit zu hohen Zinssätzen in den 80er und 90er Jahren als Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit. Ihrer Ansicht nach seien Zurückhaltung bei der Lohnsetzung und ein Abbau der Lohnnebenkosten ausreichend um das Problem zu lösen, ohne dass eine grundlegende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes notwendig wäre.[6]


Einzelnachweise

  1. http://de.wikipedia.org/wiki/Eurosklerose (Version vom 13. Februar 2008 um 19:34 Uhr)
  2. KOLLMEIER „Soziale Mindeststandards in der Europäischen Union im Spannungsfeld von Ökonomie und Politik“ (S.8)
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Herbert_Giersch
  4. http://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Wirtschaftsgemeinschaft
  5. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Europäischen_Union
  6. BLANCHARD / ILLING "Makroökonomie" 4. Auflage, München 2006, (S.28)


Literaturquellen

  • BLANCHARD / ILLING "Makroökonomie" 4. Auflage, München 2006
  • KOLLMEIER "Soziale Mindeststandards in der Europäischen Union im Spannungsfeld von Ökonomie und Politik"
  • KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN "Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes" 1985
  • SAMUELSON / NORDHAUS "Volkswirtschaftslehre" Übersetzung der 15. Auflage, Ueberreuter Wien / Frankfurt 1998


Weblinks