Selbstbindung

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Selbstbindung (im englischen self commitment oder einfach nur commitment) dient dazu Ankündigungen glaubwürdig zu machen um somit den Gegenspieler von seinen Handlungsabsichten zu überzeugen. (Bartholomae und Wiens 2016a, 130, 131) Dies gelingt dadurch, dass der Akteur seine eigenen Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Er verhindert für sich selbst das Ausweichen auf alternative Wege und fokussiert sich somit auf jene Alternative, die für ihn selbst am vorteilhaftesten ist. (Kocher und Sutter 2005, S. 807) Es gibt viele verschiedenen Möglichkeiten, wie die Bindung an eine einzelne Handlung ablaufen kann. Selbstbindung ist in jedem Spielszenario möglich, in dem die Gegenspieler miteinander agieren können.

Weiterführende Definition und Einordnung in der Spieltheorie

Selbstbindung ist immer Teil eines Strategischen Zuges oder stellt selbst einen dar. Der typische Ablauf eines Spieles besteht aus den jeweiligen strategischen Zügen, welche die Teilnehmer durchführen. Die ausgeführten Handlungen bedingen dabei die Reaktion des Gegenübers. Dabei versuchen sich die Teilnehmer je in den anderen hineinzuversetzen um dessen nächsten Zug vorauszuplanen (Holler et al. 2019, S. 10). Typische Bedingungen für eine Selbstbindung sind ein von Misstrauen oder Zweifel geprägtes Umfeld. In einer Situation ohne diese Eigenschaften ist es meist möglich durch sinnvolle Argumentation zu einem möglichst guten Ergebnis zu gelangen. In diesem Fall jedoch dient die Selbstbindung dem Gegenspieler als Absicherung, dass der andere seine Ankündigung auch einhält. Ohne diese ist kein Spieler sicher vor einem plötzlichen Wechsel der Strategie des anderen, wodurch sich dieser in eine Vorteilssituation bringen kann. Doch unter Aufgabe der eigenen Handlungsalternativen kann es gelingen den Gegenspieler von seinen Absichten zu überzeugen. Entscheidend ist dabei die Glaubwürdigkeit. Sollte ein Vorschlag, welcher der A dem B unterbreitet unglaubwürdig sein und B befürchtet, dass sich A nicht an die Strategie hält, so wird er nicht darauf eingehen. Doch kann der A seine Glaubwürdigkeit durch eine entsprechende Selbstbindung, also zum Beispiel einem Pfand, bekräftigen (Bartholomae und Wiens 2016b, 130,131). Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der selbstbindenden Maßnahme ist ebenfalls, dass diese in den Augen des Gegenspielers irreversibel ist. Dies wird erst dadurch gewährleistet, wenn die Maßnahme wirklich ausgeführt wurde. Worte können zurückgenommen werden, doch etwa eine getätigte Investition ist nicht ohne weiteres umkehrbar (Löffler 2008, S. 55). Es gibt viele verschiedenen Möglichkeiten, wie die Bindung an eine einzelne Handlung ablaufen kann. Selbstbindung ist in jedem Spielszenario möglich, in dem die Gegenspieler miteinander agieren können.

Die Entscheidenden Merkmale einer Selbstbindung sind also:

  • ein von Zweifel oder Misstrauen geprägtes Umfeld
  • das entfallen der anderen Handlungsalternativen
  • die Irreversibilität der Handlung

Optimales Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag

Bevor man eine Selbstbindung eingeht, sollte man gründlich abwägen, ob es die Kosten oder die Aufgabe der eigenen Handlungsmöglichkeiten wirklich wert ist. Dafür muss der optimale Aufwand definiert werden, den man für seine Glaubwürdigkeit investieren kann (Kocher und Sutter 2005, S. 807). Wenn sich das Ziel genügend lohnt, kann auch ein hoher Aufwand für eine Selbstbindung unter einem größeren Risiko die richtige Entscheidung sein. Um jedoch einen Konkurrenten von einer nebensächlichen Strategie überzeugen zu wollen, welche nur wenig Profit verspricht, sollte auch der Aufwand der Selbstbindung nur entsprechend hoch sein. Es lohnt sich nicht sich darauf zu versteifen und hohe Beträge oder zu viele Handlungsmöglichkeiten zu investieren.

Einsatzmöglichkeiten

Entstehung der typischen Szenarien

Je nach Situation kann eine Selbstbindung völlig unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Die möglichen Szenarien können mit dem Chicken game verdeutlicht werden. Dieses hat mehrere verschiedene Varianten und wird an verschiedenen Beispielen erklärt. Eine der Varianten wird auch Taube-Falke Spiel genannt und funktioniert wiefolgt.

Taube Falke
Taube 0,5x:0,5x 0:1x
Falke 1x:0 0,5(x-c):0,5(x-c)

Eigene Darstellung in Anlehnung an(Güth und Kliemt 2015, S. 34), x steht für die Ressource und c für den Verlust welcher durch den Kampf an der Ressource entstanden ist.

Es wird dabei davon ausgegangen, dass sich die Tauben friedlich und die Falken feindselig verhalten. Treffen nun zwei Tauben aufeinander, erhalten beide die die Hälfte der Ressource. Bei einem Treffen von Falke und Taube erhält der Falke alles und die Taube gar nichts. Treffen jedoch zwei Falken aufeinander kämpfen sie um die Ressource, wobei auch diese beschädigt wird und beide die Hälfte der um den Schaden verringerten Ressource erhalten. Die drei Szenarien die sich daraus ergeben sind Verhandlungen erstens zwischen Freunden oder Verbündeten, zweitens zwischen Konkurrenten, wobei der eine stark in der Vormachtstellung ist und drittens zwischen Feinden. Bei den ersten beiden Szenarien bleibt die volle Ressource erhalten und wird je nach Machtgefälle aufgeteilt. Doch der dritte Fall ist besonders wünschenswert, da egal wer als Sieger aus dem Konflikt hervorgeht, nicht mehr die volle Ressource vorhanden ist und damit beide verlieren (Güth und Kliemt 2015, 33,34).

Gegenspieler ist Verbündeter

Ist der Gegenspieler ein Verbündeter oder auch nur neutral herrschen andere Bedingungen und solch feindselige Handlungen wie Drohungen wären ohne weiteres unangebracht. In diesem Rahmen herrscht ein harmonischeres Miteinander und man ist um einen möglichst positiven Ausgang für beide Seiten bemüht. Dadurch kommt es in dieser Situation zu einem kooperativen Spiel (Holler et al. 2019, 3,4). Konfliktpotential besteht hier darin, dass beispielsweise Unternehmer A Unternehmer B nicht von einem risikoreichen, aber lukrativen Projekt überzeugen kann. Wenn sich A nun des Mittels der Selbstbindung bedienen würde so könnte er beispielsweise alle anderen ähnlichen Projekte einstellen. Damit würde dem B signalisiert, dass die Volle Einsatzbereitschaft des A auf das Projekt fokussiert ist und dieser an den Erfolg glaubt.

Gegenspieler ist ein Konkurrent

Wenn man einen unterlegenen Konkurrenten im gleichen Markt hat ist ein mögliches Ziel die Aufrechterhaltung dieses Zustandes. Unternehmen nutzen selbstbindende Maßnahmen um beispielsweise Markteintrittsbarrieren zu erschaffen und eine bestimmte Zeit aufrecht zu erhalten (Löffler 2008, S. 7). Mögliche Handlungsweisen im unternehmerischen Bereich sind z.B. Investitionen in Forschung und Entwicklung, Investitionen in Produktionskapazitäten, Entscheidungen über die Kapitalstruktur und die Übertragung von Entscheidungsgewalt an verschiedene Instanzen (Löffler 2008, S. 21).

Gegenspieler ist ein Feind

In der ersten Situation kann der Gegenspieler als Gegner oder als Konkurrent gesehen werden. Dafür lassen sich viele Beispiele in der Wirtschaft, in der Politik oder im Militär finden. Diese Situation ist geprägt von Egoismus, Feindseligkeit und persönlichem Misstrauen. Sie sind daher nicht kooperativ wodurch hier ein Nash-Gleichgewicht entsteht. Demnach wird jeder Teilnehmer auf der für ihn am günstigsten Strategie beharren (Bartholomae und Wiens 2016b, S. 51). Daher sind die Mittel der Wahl zur Selbstbindung sind hier daher meist nicht Überzeugung und Kooperation sondern Drohungen und Zwang. Das aussprechen der Drohung erschafft zunächst bei dem Bedrohten eine Entscheidungssituation. Gibt er der Drohung nach so hat der Zug des Drohenden gewirkt. Doch wiedersetzt sich der Bedrohte so ist wiederum der Akteur selbst in einer Zwangslage. Führt er die angedrohte Maßnahme durch oder nicht? Egal wie die Situation letztlich ausgeht, durch das Aussprechen der Drohung ist eine friedliche Lösung unwahrscheinlich geworden. Zudem wird die Selbstbindung in dem Moment verstärkt, in dem die Drohung ausgesprochen wird, da dabei die Strategie offenbart wird (Gauk 2009, S. 20). Sollte sich der Bedrohte nun wiedersetzen und es kommt nicht zur Ausführung der Maßnahme würde sich die Situation als eine leere Drohung herausstellen und der Akteur hätte bei einem wiederholten Spiel eine wesentlich schlechtere Ausgangsposition (Bartholomae und Wiens 2016b, S. 138).

Selbstzwang

Ein weiteres Szenario ist der Selbstzwang. Dabei handelt es sich um eine Selbstbindung ohne einen direkten Gegenspieler. Voraussetzung dafür ist das eingestehen der eigenen Schwächen und das Ausrichten der Strategie darauf, diese zu überwinden. In gewisser Weise entspricht dies dem hineinversetzen in den Gegenspieler um seine nächste Handlung zu erraten. Besondere Arten der Selbstbindung

Antwortregeln

In Abgrenzung zu den normalen Formen der Selbstbindung, bei welchen ein bestimmter strategischer Zug unternommen wird, können im Vornherein Antwortregeln formuliert werden. Dies bedeutet, dass vor dem Zug des Gegenspielers bereits eine Antwort darauf vorhergesagt wird, also die Art und Weise wie der Akteur auf den Zug des Gegenspielers reagiert. Dadurch entsteht zwangsweise eine sequenzielle Spielform bei welcher ein Zug den nächsten bedingt. Es entsteht eine vorher festgelegte Reihenfolge der jeweiligen Züge (Holler et al. 2019, S. 13). Auch bei den bereits genannten Drohungen sowie bei Versprechen handelt es sich um Antwortregeln. Je nachdem ob die Maßnahme der Handlung bös- oder gutartig ist, ist das eine oder das andere der Fall.

Automatische Selbstbindung

Dixit und Nalebuff (1997, 158) führen dazu ein Beispiel aus dem Militärwesen auf: Soldaten sollen Befehle befolgen. Schon in der Grundausbildung werden sie in z.B. Ordnung und Disziplin geschult. Die Rekruten sollen sich automatischen Gehorsam aneignen. Sinn der Ausbildung ist es, Soldaten die Eigenschaft zu geben, auch beim Befehl zum Kampfeinsatz, bedingungslos zu gehorchen. Selbst, wenn das eigene Leben auf dem Spiel steht, dürfte ein Soldat den Befehl nicht hinterfragen. Aufgrund des Gehorsams bestünde eine automatische Selbstbindung bei einem militärischen strategischen Zug.

Finte

Neben den Eigenschaften einer der Selbstbindung eröffnet sie auch die Möglichkeit zu einem weiteren taktischen Zug, der Finte. Dabei wird dem Gegenspieler vorgespielt dass man sich in den Handlungsmöglichkeiten einschränkt. Ein einfaches Beispiel ist dabei beim Sport zu finden. Beim Basketball erlaubt ein sogenannter No-Look-Pass, also ein Pass zu einem Mitspieler ohne ihn dabei anzusehen, oft den Gegner zu täuschen. Dadurch dass der Passgebende den Blick von seinem Mitspieler abwendet gibt er scheinbar die Möglichkeit auf ihn anzuspielen da er nicht wissen kann wie sich der Mitspieler außerhalb seines Blickfeldes bewegt. Eine Finte steht im Gegensatz zur Irreversibilität, welche Voraussetzung dafür ist, dass der Gegenspieler der Taktik der Selbstbindung folgt. Daher ist eine Finte nur bei einem asymmetrischen Wissensstand möglich. In dem Beispiel aus dem Basketball rechnet der Gegenspieler nicht mit dem Pass, da der Passgeber nicht die genaue Position seines Mitspielers einsehen kann. Doch wenn das Team gut eingespielt ist kennt jeder die Position des anderen und weis mit welchen Bewegungen die Mitspieler auf die eigenen Aktionen reagieren. Somit kann der Gegner mit dieser Passfinte überlistet werden. Eine weitere Finte ist besonders wirkungsvoll in dem Szenario, in welchem zwei unterschiedlich starke Konkurrenten miteinander agieren. Wenn der schwächere Akteur eine marktrelevante Neuheit oder eine lukrative Investitionsmöglichkeit entdeckt hat und dies geheim halten möchte kann er durch eine selbstbindende Maßnahme ablenken. Durch das investieren in einen völlig anderen Bereich wird die Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Ziel entfernt.

Kombinationen der Selbstbindung

Am Beispiel von Heinrich V. kann eine Kombination verschiedener Möglichkeiten der Selbstbindung veranschaulicht werden. Heinrich V. verstand es besonders gut seine Truppen zu motivieren. Dadurch war er in der Lage alternative Lösungswege abzugrenzen und den glauben an ein gutes Gelingen seines strategischen Zuges zu erhöhen. Vor der Schlacht von Agincourt sprach er zu seinen Soldaten: „Derjenige, der keinen Mut hat zu diesem Kampf, [kann] zurückkehren; sein Paß soll ausgestellt und Kronen zum Geleit in seine Börse gesteckt werden: Wir wünschen nicht, in der Gesellschaft desjenigen Mannes zu sterben, der fürchtet, seine Kameradschaft könnte mit uns sterben.“ Damit gelang es ihm zwei Eigenschaften der Soldaten seiner Armee zu einer Selbstbindung zusammenzuführen. Er nutzte den Gruppenzwang und kombinierte ihn mit dem Stolz. Eines der beiden hätte vielleicht nicht genügt, doch zusammen veranlassten sie die Soldaten dieses Angebot nicht anzunehmen. Mit der Ablehnung gab es aber kein Zurück mehr. Im psychologischen Sinne brachen sie die Brücken hinter sich ab. Dadurch wurde implizit ein Vertrag geschlossen zu kämpfen, was auch den Tod bedeuten konnte (Dixit und Nalebuff 1997, S. 159).

Weitere Beispiele

Historisch war es üblich, dass man bei der Beilegung von Konflikten Geiseln stellte, um sich selbst an einen Friedesvertrag zu binden. Zum Beispiel Ottokar I. Přemysl der Philipp von Schwaben im Austausch gegen die Königswürde Geiseln stellt.

Das Beispiel des spanischen Eroberers Hernán Cortés, der 1518 erfolgreich gegen die Azteken kämpfte veranschaulicht den Effekt von Selbstbindung. Cortez befahl seinen Truppen seine Schiffe zu verbrennen und zerstörte somit die Möglichkeit eines Rückzuges. Die Truppen mussten die Schlachten gewinnen, um zu überleben (Löffler 2008, 20).

Beim so genannten Chicken Game kann ein Fahrer eine Selbstbindung erzeugen, indem er z.B. sein Lenkrad aus dem Fenster wirft. Damit macht er seinem Gegner glaubhaft, dass er auf jeden Fall nicht ausweicht (Löffler 2008, 55).

Kategorisierung nach der JEL-Klassifikation

C Mathematical and Quantitative Methods

  • C7 Game Theory and Bargaining Theory
    • C72 Noncooperative Games

Literaturverzeichnis

Bartholomae, Florian; Wiens, Marcus (2016a): Simultanspiele. In: Florian Bartholomae und Marcus Wiens (Hg.): Spieltheorie, Bd. 39. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 65–121. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-8349-4420-7_3, zuletzt geprüft am 03.01.2020.

Bartholomae, Florian; Wiens, Marcus (Hg.) (2016b): Spieltheorie. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Dixit, Avinash K.; Nalebuff, Barry (1997): Spieltheorie für Einsteiger. Strategisches Know-how für Gewinner. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Gauk, Viktor (2009): Spieltheoretische Betrachtung von Tarifverhandlungen. 1. Auflage. Hamburg: Diplom.de. Online verfügbar unter http://www.diplom.de/.

Güth, Werner; Kliemt, Hartmut (2015): Evolutionäre Spieltheorie in der Ökonomik. Berlin. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/266165649_Evolutionare_Spieltheorie_in_der_Okonomik, zuletzt geprüft am 04.01.2020.

Holler, Manfred J.; Illing, Gerhard; Napel, Stefan (Hg.) (2019): Einführung in die Spieltheorie. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Kocher, Martin; Sutter, Matthias (2005): Spieltheoretische Analyse von Konflikt und Kooperation. In: Wirtschaftsdienst 85 (12), S. 802–808. DOI: 10.1007/s10273-005-0464-x.

Löffler, Clemens (2008): Strategische Selbstbindung und die Auswirkung von Zeitführerschaft. 1. Aufl. s.l.: Gabler Verlag (Management, Organisation und ökonomische Analyse). Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=750119.